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Wildwuchs im Werbewald

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Werbung auf öffentlichem Grund und öffentlich genutztem Privatgrund nimmt ständig zu. Um ihre Stimme über dem Geräuschpegel der herkömmlichen Plakate hörbar zu machen, erfinden Werber neue und auffallendere Werbeflächen. Widerstand dagegen ist kaum spürbar.

Christian Hänggi
Plakatwerbung im öffentlichen Raum ist so präsent, dass sie kaum wahrgenommen wird. Ausnahmen bestätigen die Regel, und so stutzten viele, als am Kirchturm der reformierten Kirche Balgrist Ende Januar eine riesige Werbung für die Gelben Seiten angebracht wurde. Die «Wallscape» («Wandschaft», einer der Begriffe, die sich für diese Art von Werbung im angelsächsischen Raum durchsetzen konnte) sollte für die Dauer der Renovationsarbeiten am Baugerüst befestigt mit monatlich 15′000 Franken die Renovation mitfinanzieren. Ironischerweise, ist man zu sagen versucht, wurde das melancholische Bildnis für die Säkularisierung der Kirche ein paar Wochen später durch einen Sturm weggerissen.
Das Thema Aussenwerbung ist freilich so alt wie umstritten. Werbelegende David Ogilvy schrieb 1983: «The world would be a safer, prettier place without billboards», und sagte den Untergang der Aussenwerbung voraus. Howard Gossage, ebenfalls ein toter amerikanischer Werber, schrieb 1960 im Harper?s Magazine: «Es ist so seltsam, dass Werbeplakate überhaupt existieren, dass die gegenwärtige Kontroverse, ob Aussenwerbung entlang den Bundesstrassen erlaubt sein soll, so unreell wird wie die Frage, ob man in feuergefährlichen Zonen Hexen verbrennen darf. Scheinbar hat sich nie jemand damit befasst, was Werbeplakate überhaupt irgendwo zu suchen haben.»

Vierfarbiger Konsumentenindex…
Out-of-Home Advertising (OOH), der Fachbegriff für Aussen- und Innenwerbung (wie WC-Werbung), ist in der Tat ein seltsames Werbemedium. Es tritt vorwiegend in Plakatform auf und finanziert im Gegensatz zu Print-, Fernseh- oder Radiowerbung kein zweites Medium. Es ist Werbung pur und wird als solches Luxusprodukt oft als Zeichen einer florierenden Marktwirtschaft verstanden. Ursula Koch, damalige Stadträtin, schrieb 1997 im Plakatierungs-Gesamtkonzept der Stadt Zürich: «Das Plakat ist – in der Stadt und für ihr Publikum erfunden – vor allem ein urbanes Werbemittel, das Belebtheit, Austausch, Kommerz und Kommunikation fördert.» Die Massenmedien, die zur Existenzsicherung und weil sie so schön bunt ist, der Werbung einen Platz einräumen, können abgeschaltet oder überblättert werden, während man vor einer Plakatwand am Central nicht einfach die Augen schliessen kann. Für Werbung im öffentlichen Verkehr gilt dies natürlich ebenfalls: «An Verkehrsmittelwerbung kommt niemand vorbei.» (VBZ). Während bei einer Zeitung die Seiten limitiert sind und im Fernsehen theoretisch nicht mehr als 24 Stunden Werbung pro Tag gesendet werden kann (was gesetzlich verboten ist), sind der Plakatierung des öffentlichen Raums keine physischen Grenzen gesetzt.
Hierzulande hat Aussenwerbung mit rund 15 Prozent einen der weltweit höchsten Anteile an den Gesamtwerbeausgaben. Gemäss Peter Leutenegger, Vizepräsident des Branchenverbands Schweizer Werbe- und Kommunikationsagenturen (BSW) und CEO der Werbeagentur FCB Leutenegger Krüll, ist dies darauf zurückzuführen, dass die wenigen TV-Stationen in der Schweiz nicht sehr viele Werbefenster bereithalten können. Ausserdem wird die im Ausland dominante Fernsehwerbung im «Zeitungsland Schweiz» durch die Printme dien weiter unterminiert.
Die Allgemeine Plakatgesellschaft APG ist klare Marktführerin in der Schweiz. Auf öffentlichem Grund ist sie mit 99,5 Prozent Marktanteil gar Monopolistin. Von den Schweizer Städten hat einzig Bellinzona einen Vertrag mit Konkurrentin Clear Channel. Laut Bernard Liechti, Leiter Reklameanlagen des Amts für Städteplanung, hat die Stadt Zürich das alleinige Recht für Plakatflächen an die APG verpachtet mit der Auflage, mit den anderen grossen Plakatgesellschaften zusammenzuarbeiten. Details zu diesem Pachtvertrag sind weder bei der Stadt noch bei der APG öffentlich zugänglich. Ulrich von Bassewitz, APG-Finanzdirektor und Mitglied der Geschäftsleitung, versichert, es handle sich um einen «anständigen Betrag», den seine Firma für das Plakatierungsrecht bezahle.
Grundsätzlich ist Aussenwerbung kantonal geregelt. Die Praktiken für Werbung auf öffentlichem Grund variieren jedoch von Ortschaft zu Ortschaft. Gemäss Bernard Liechti müssen in der Stadt Zürich Baugesuche für Plakatflächen nicht ausgesteckt oder öffentlich ausgeschrieben werden. Mindestens vier Ämter begutachten ein Baugesuch, und im Schnitt wird nur jedes dreissigste bewilligt. Abgelehnt werden Gesuche wenn die Plakatfläche sich nicht in die Umgebung einfügt oder wenn sie die Verkehrsteilnehmer ablenkt. Steht die Plakatfläche erst einmal, können Anrainer Rekurs einreichen, sofern sie gute Gründe vorbringen können. In den meisten umliegenden Gemeinden muss eine neue Werbefläche ausgesteckt werden und beim Bauamt zur Einsicht aufliegen. Die Nachfrage in zwei Seegemeinden ergab, dass auf dem «Land» nicht viele Gesuche eingehen. Männedorf hatte letztes Jahr vier Gesuche, wovon eines abgelehnt wurde. In Uetikon am See gehen «fast keine Gesuche» ein. Sowohl Liechti wie auch Hans Rutz, Leiter des Bauamts von Uetikon am See, räumen ein, dass mit den Gesuchsstellern in erster Linie der Dialog gesucht wird, um zu einem Konsens zu gelangen.

…oder Aktion zur Stadtverschandelung?
Konsens mit den Gesuchsstellern ist jedoch nicht gleichbedeutend mit Konsens mit der Bevölkerung. Der stille Konsens, der im Schweizerlande in so vielen Belangen herrscht, kann eine Vielzahl von Gründen haben. Die wichtigsten sind, dass man dem Thema zustimmt, es einem egal ist, oder man sich nicht genug daran stört, um daraus ein Politikum zu machen. Dies ist mit Aussenwerbung nicht anders. In Zürich regt sich relativ wenig Widerstand gegen die Plakatierung des öffentlichen Raums. Während Bürgergruppen in Nordamerika und Frankreich regelmässig Werbeplakate verunstalten und die Problematik der Werbebotschaften und des öffentlichen Raums thematisieren, ist es in der Schweiz verdächtig ruhig. In Lausanne fordert «La Meute Suisse», eine feministische Vereinigung, dass Werbezonen signifikant reduziert werden. Zürchern ist möglicherweise die «Aktion zur Stadtverschönerung» präsent, in der eine anonyme Gruppe im Sommer 2002 Plakatflächen mietete und Poster eines am Strand spielenden Hundes aufhängen liess. Peter Leutenegger begrüsst diese Aktion als Kulturbeitrag und Zeichen dafür, dass die Meinungsäusserungsfreiheit garantiert ist, während Werber Hermann Strittmatter sich gemäss einem Tages-Anzeiger-Artikel über die Zweckentfremdung der Werbeflächen erboste. Gemäss Ulrich von Bassewitz ist die Schweiz im Vergleich zu andern Ländern von Vandalenakten an Plakatflächen relativ verschont geblieben. Einzig in der Westschweiz, vorab in Genf, sind teilweise systematische Verschandelungen von Plakaten zu beobachten, die «politisch motiviert sein könnten», vermutet von Bassewitz. Zugenommen haben sie insbesondere rund um den letztjährigen G8-Gipfel in Evian.
Ein Stadtbild ohne Werbung würde eher an eine Metropole jenseits des Eisernen Vorhangs erinnern als an ein romantisches mittelalterliches Städtchen. Dennoch kann man sich gewisser Bedenken nicht erwehren, wenn eine grosse Firma für viel Geld eine riesige Plakatfläche mietet, um so der Welt ihre Botschaft kundzutun, während die kleine Firma oder der kleine Bürger nicht mal davon zu träumen wagt. Weitere Bedenken mögen sich anmelden, wenn man die Struktur des globalen Aussenwerbungsmarktes betrachtet. Die drei grossen Aussenwerber in Europa sind JCDecaux (Nr. 6 in den USA), Clear Channel (Nr. 2) und Viacom Outdoor (Nr. 1). JCDecaux gehören 30 Prozent der APG-Mutter Affichage Holding. Viacom und Clear Channel besitzen beide eine Menge anderer Medien wie Radio- und Fernsehstationen und können so von der Produktion bis zur Promotion die ganze Wertschöpfungskette abdecken. Die Voraussetzungen für eine Verflachung der Unterhaltungskultur und die Beeinträchtigung der Kommunikationsfreiheit sind zumindest theoretisch gegeben. Kommt hinzu, dass die wenigen grossen Outdoor- Firmen häufig untereinander Beteiligungen an anderen Medienunternehmen kaufen und verkaufen. Viacom Outdoor ist präsent in acht europäischen Ländern. Den Sprung in die Schweiz hat sie noch nicht gemacht. Geschähe dies, ist anzunehmen, dass die Anzahl Plakatflächen nochmals zunehmen würde, da sich Viacom signifikante Anteile am einheimischen Aussenwerbungsmarkt aneignen müsste. Von Bassewitz ist zuversichtlich, dass die Schweiz einen zu kleinen Markt darstellt, um für Viacom überhaupt interessant zu sein, während Beat Roeschlin, CEO von Clear Channel Schweiz, deren Eintritt begrüssen würde, um die Monopolstellung der APG zu schwächen.
Um dem Wildwuchs einen Riegel zu schieben und die Qualität des Stadtraums zu erhöhen, verordnete das Zürcher Plakatierungs-Gesamtkonzept 1997 der Pächterin APG eine Reduktion der Plakatstellen auf öffentlichem und privatem Grund um 30 Prozent (laut APG geschah dies auf APG-Initiative). Peter Leutenegger sieht die freiwillige Reduktion von Plakatflächen als einzige durchführbare Antwort der Werbebranche auf die Überflutung des öffentlichen Raums durch Werbeplakate. Beat Roeschlin beteuert in einem Interview, dass die Clear Channel-Plakatflächen ständig neu beurteilt und unbefriedigende entfernt werden. Er schätzt, dass es rund 30′000 Plakatstellen zuviel gibt und macht der APG den Vorwurf, selbst in Provinzbahnhöfen ohne nennenswertes Publikum Werbeflächen – notfalls auch mit Gratisplakaten – zu bewirtschaften: «Das Medium Plakat kann in der Schweiz seinen überdurchschnittlich hohen Anteil an Werbeausgaben nur aufrecht erhalten, wenn diese Bereinigungen schnellstens durchgeführt werden. Plakatflächen gehören nicht in Landsgemeinden – diese sind für den Werbetreibenden bedeutungslos.» Für von Bassewitz spricht der «Neid des Besitzlosen» aus diesen Worten, und er versichert, dass die Plakate nur da sind, weil sie sich wirtschaftlich lohnen.
Ein Blick hinter die Kulissen offenbart rasch, wie kontrovers und umfangreich das Thema ist. Was für die einen das Stadtzentrum belebt, wird für die andern zum Ausverkauf des öffentlichen Raums. Während die einen die farbenfrohen Plakatstellen als Zeichen wirtschaftlichen Aufschwungs begrüssen, sehen die andern darin die visuell kontaminierenden Auswüchse der Konsumgesellschaft. Wo die einen den Garant für die freie Meinungsäusserung erblicken, wittern die anderen die Einengung derselben. Vielleicht wäre die Jahrzehnte alte Idee von Bill Tara, eines Werbekünstlers und Konsulenten, ein interessanter Ansatz. Der Tara-Plan schlägt vor, Plakatparks zu eröffnen, Freilichtmuseen, die in gediegener Atmosphäre abseits vom Lärm der Grossstadt Werbeposter ausstellen, die man nach Herzenslust durchstöbern kann.

Weiterführende Links:
www.apg.ch
www.clearchannel.ch
www.jcdecaux.com
www.viacom-outdoor.com
www.gfk.ch/gfk/pdf/vademecum2003.pdf

IQ Nr. 43, 2004


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